Ein vergessener Beruf : Wasenmeister in Felsberg
von Hans Poth
Vom hohen Mittelalter bis um 1900 stand er im Dienst der lokalen Gesellschaft, aber er hatte nur wenig Ansehen bei seinen Mitbürgern: der Wasenmeister, in Urkunden und Verordnungen auch als Abdecker oder Schinder bezeichnet. In Großstädten wie Frankfurt ist er bereits 1440 nachgewiesen, in Kleinstädten der Region, wie Felsberg, kennt man das Amt aus dem Saalbuch von 1555. Seine Aufgabe bestand in der Abholung, Verwertung und Beseitigung von toten Tieren. Die sprachliche Herleitung: Als Abdecker wird der Mann bezeichnet, der einem Tier die Haut abnimmt, also abdeckt oder schindet. Der Begriff Wasen hängt mit Rasen zusammen, sodass die Wasenmeisterei einfach den Lagerplatz beschreibt, wo tote Tiere begraben wurden.
Ein „unehrlicher“ Beruf
Der Wasenmeister zählte in der mittelalterlichen und der früh-neuzeitlichen Gesellschaft zu den „unehrlichen Berufen“ In der Sprache und der Vorstellungswelt der damaligen Zeit waren damit nicht- wie heute von uns verstanden- allein betrügerische Mitmenschen gemeint, viel mehr handelte es sich um Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Ehre und damit ohne Ansehen waren. Innerhalb des Ständestaates lebten sie - sozial ausgegrenzt- am Rand der Gesellschaft.
Dies war nicht nur ein moralisches Problem, sondern eine rechtliche Zurückstellung bestimmter Berufe verbunden mit sozialer Distanzierung und Verachtung einschließlich ihrer gesamten Familien. Betroffen waren Vertreter wichtiger Berufe des täglichen Bedarfs wie Leineweber, Müller, Töpfer und Bader. Eine weitere diffamierte Gruppe: Berufe, die mit Schmutz, Strafe und Tod zu tun hatten wie Polizei- und Gerichtsdiener, Henker oder Totengräber. Ihr blutiges Handwerk stempelte sie zu Außenseitern der Gesellschaft. Alles, was zum „Fahrenden Volk“ zählte, gehörte ebenfalls dazu. Die Ehrlosen hatten auch weniger Rechte. Sie durften keine Richter sein oder als Zeugen auftreten und auch keine Vormundschaft oder kommunale Ämter übernehmen. Es war ihnen verboten, einer Zunft anzugehören oder Lehnsnehmer zu sein.
Tätigkeiten: Sich schinden
Die Ausübung des Dienstes wurde den Wasenmeistern über einen Bestallungsbrief durch den landgräflichen Hof von Kassel verliehen. Dafür hatte im Gegenzug der Felsberger Wasenmeister nach dem Saalbuch von 1555 jährlich 4 Gulden 20 Albus über die örtliche Renterei an den Hof zu zahlen. Geschützt war die Tätigkeit über das Bannrecht, das ihnen das Wasenmeisterprivileg in ihrem Gebiet garantierte und durch das Zwangrecht, das die Viehbesitzer verpflichtete, ihre verendeten Tiere dem Wasenmeister zu melden. Weil diese Dienstleistung auch mit Kosten verbunden war, wurde sie gerne umgangen. Entstanden war der Beruf, als durch das Anwachsen der Dörfer zu Städten mit einer beachtlichen Größe und eine private Beseitigung von Tierkadavern nicht mehr möglich war. Die Bauern hatten die toten Tiere beim Wasenmeister abzugeben, wo sie verbrannt oder verscharrt wurden. In einzelnen Landesverordnungen war genau geregelt wie der notwendige Ablauf vor sich gehen sollte. Vorher erfolgte jedoch eine Überprüfung auf Verwertbarkeit der Einzelteile. Ganz lukrativ: die Tierhäute wurden an die Gerber verkauft. Das Kadaver und das Fett veräußerten sie an Seifensieder und Lichtzieher. Die anfallenden Sehnen sowie Klauen und Horn wurden gewinnbringend an die Leimsieder weitergeleitet. Felle und Tierhaare waren sehr begehrt und vielseitig verwertbar. Es muss auf jeden Fall sehr anstrengend gewesen sein. Bis in unsere Zeit wird ein Mensch, der sich bei einer Tätigkeit aufreibt, mit der Redensart “er schindet sich“ umschrieben. Der Wasenmeister übernahm im Interesse der Allgemeinheit sogar gesundheits-polizeiliche Aufgaben. Mit sachgerechter Behandlung von Seuchenfleisch konnte er die Ausbreitung ansteckender Krankheiten verhindern. Wegen seiner Kenntnisse aus der Veterinärmedizin wurde er teilweise auch bei humanmedizinischen Anliegen eingeschaltet. Manchmal wurde er auch zur Kloakensäuberung öffentlicher Gebäude und bei der Straßenreinigung heran gezogen.
Schindebusch
In Felsberg gibt es heute noch die Straße„ Schindebusch“, die nach der gleichnamigen Gemarkung benannt wurde. Laut Aussage von Anwohnern findet man noch jetzt dort Knochenreste von Haustieren, die einst an dieser Stelle vergraben wurden. Wegen Geruchsbelästigung befand sich der Platz im beträchtlichen Abstand nördlich von der damals vorhandenen Stadtmauer. Fritz Schäffer (79), Anwohner und Grundstücksbesitzer in dieser Ortslage, weiß von Aussagen seines Großvaters Adam Schäffer, wonach sich bis um 1900 das Areal einst über die heutigen Strassen „Im Kirchgarten“ hangaufwärts bis „Schöne Aussicht“ erstreckt haben muss.
Wasenmeister in Felsberg
Den meisten Söhnen von Wasenmeistern blieb nichts übrig, als den Beruf des Vaters zu übernehmen, da ihnen der Weg zu anderen Berufen verwehrt war. Bedingt durch die allgemeine gesellschaftliche Isolierung gab es zu den Wasenmeistereien nach Gudensberg, Melsungen und Spangenberg intensive Verbindungen, die zu Freundschaften und Einheiraten führten. So entstanden regelrechte Wasenmeister-Sippschaften. Der erste namentlich bekannte Wasenmeister in Felsberg war Claus Sachse , er wirkte bis 1638, also mitten im Dreißigjährigen Krieg. Ihm folgte Matthias Wahl, der mit Anna Maria geb. Sachse, Tochter des Gudensberger Wasenmeisters, verheiratet war. Bis 1706 war Hans Müller eingesetzt. Sein Nachfolger wurde schließlich Johann Wahl, der bis 1726 das Amt besaß. Danach folgte Georg Stückler. Von 1738-1765 wirkten Philipp und Daniel Sommer, die von einer Wasenmeisterfamilie aus Frankenberg abstammten und als Vater und Sohn in Erbpacht der Einrichtung vorstanden.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts haftete dem Wasenmeister der Makel der Anrüchigkeit an. Erst danach wurde die Wasenmeisterei stärker offiziell als staatliche Aufgabe wahrgenommen, die Tätigkeit erlangte Anerkennung. Zahlreiche Veränderungen in Verwaltung und Berufswelt sorgten für eine allmähliche Integration in die bürgerliche Gesellschaft und gewährten den Wasenmeistern Rechte, die anderen längst zustanden. Der juristische Status der Unehrlichkeit mit all seinen Folgen wurde aufgehoben. Schließlich wurden Einrichtungen für Tierkörperbeseitigung bei den Landratsämtern installiert. Darüber hinaus erlangte mit der Herausgabe des Handbuchs für das Abdeckereiwesen (1906) sowie Landesverordnungen und deren konsequente Umsetzung die gesamte Thematik eine ständig wachsende Bedeutung. Verbesserte hygienische Lebensbedingungen trugen zum Schutz für Mensch und Umwelt bei.
Literatur:
Pechacek,Petra: Scharfrichter und Wasenmeister in der Landgrafschaft Hessen-Kassel in der Frühen Neuzeit, Frankfurt 2001.
Haefcke, Hermann: Handbuch des Abdeckereiwesens, Berlin 1906
Hergemöller, Bernd-Ulrich: Randgruppen der spätmittelalterlichen Gesellschaft, Warendorf, 2001.