Der „schwarze Tod“ im Edertal
von Hans Poth
Keine Krankheit setzte im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Europa und Vorderasien den Menschen so zu wie die Pest, Angst einflößend auch der „schwarze Tod“ genannt. Noch heute steht sie für großen Schrecken, Leid, Unheil, Verderben und Tod. Von der Antike bis zum Ende des 19. Jahrhunderts trat die ansteckende Krankheit in Epidemien auf und forderte 25 Millionen Menschenleben, allein im Mittelalter.
Verschiedene Formen
Hervorgerufen wurde die Pest von einem Bakterium, das in drei Erscheinungsformen auftreten konnte. Da gab es die Beulenpest, die den Kranken an Hals, Achsel und Leisten befiel und durch Rattenflöhe verbreitet wurde. Darüber hinaus trat die Lungenpest auf, die in Tröpfchenform übertragen wurde. Breitete sich die Krankheit auf andere Körperteile aus, kam es zur Pestsepsis. Mangelnde Hygiene wie Verunreinigung an Händen oder Lebensmitteln, die mit Mundschleimhaut in Berührung kamen, waren in solchen Fällen die Ursache für das Ausbrechen und die Verbreitung der Krankheit.
Verbreitung in der Landgrafschaft Hessen
Erstmals in der Zeit zwischen 1348 und 1352 wurde Mitteleuropa von einer Pestepidemie erfasst, die 1350 auch auf die Landgrafschaft Hessen übergriff. Mehrfach erlebten Städte wie Frankfurt, Marburg, Gießen und Kassel im 14. und 15. Jahrhundert regelrechte Pestwellen. Bedingt durch die zahlreichen Opfer erfolgte sogar eine temporäre Umsiedlung von administrativen Einrichtungen wie Hof und Universität. Die hessischen Landgrafen verließen mit Familien ihre Residenzen, um in Melsungen, Spangenberg oder Rotenburg der Ansteckung zu entrinnen. Ganze Landstriche litten unter demografisch- wirtschaftlichen Folgen.
Sterbebücher als Quellen zu Felsberg
Die beiden Handelsstraßen Kassel- Frankfurt sowie die Sälzer Straße -- vom Werragebiet bis ins Rheinland- führten durch das Edertal und waren als Fernhandelsstraßen stark frequentiert. Nicht nur intensiver Handel und Warenaustausch fanden hier statt. Kontakte mit durchziehenden Kaufleuten brachten dabei auch ansteckende Krankheiten in das Ederstädtchen. Als Folge traten zu dieser Zeit bereits vereinzelt Sterbefälle auf, die von ansteckenden Krankheiten herrührten. Ärzte und Geistliche suchten vergeblich nach Gründen des Ausbruchs und der Verbreitung.
Der Verlauf und die verheerenden Auswirkungen großer Epidemien fanden durchweg ihren Niederschlag in den städtischen Chroniken. Akribisch genaue Aufzeichnungen erzählen von den Gefahren damaligen Lebens.. Zur Aufarbeitung der Geschichte Felsbergs dienen die Sterbebücher als wichtigstes Quellenmaterial Diese befinden sich heute in der Bibliothek unter den Kirchenbüchern des landeskirchlichen Archivs der evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck in Kassel.
Pestordnung von 1563
Zeitgenossen betrachteten die Pest als eine Geißel, die Gott den Menschen zur Strafe für ihre Sünden schickte. Aufgrund ständig wiederkehrender Pestfälle erließ Landgraf Philipp, medizinisch schon fortschrittlich, 1563 als erster deutscher Landesherr für Hessen eigenständig eine Pestordnung. Diese enthielt gesundheitspolitische Maßnahmen und war auch in Felsberg einzuhalten. Zur Prophylaxe wird geraten, keine Furcht vor der Seuche zu zeigen, da somit der Körper geschwächt würde und die Krankheit leichter zum Ausbruch käme. Zur Vorbeugung einer Erkrankung sollten Arzneimittel eingenommen werden sowie der Besuch von Bade-, Trink- und Spinnstuben vermieden werden.
Erste Pestwelle in Felsberg
Fällt bereits bei Durchsicht der Register die hohe Zahl der an der Pest verstorbenen Erwachsenen auf, sticht auch die enorme Anzahl von betroffenen Kindern ins Auge. In den Jahren 1574/75 verstarben 164 Einwohner „an der Pestilenz“ darunter 114 Kinder, wie es im Totenregister vermerkt ist. 1584 sind 77 Sterbefälle zu verzeichnen, darunter 56 Kinder und 1585 wurden 12 Pesttote gezählt, darunter 8 Kinder. Ganz gravierend: 177 Personen sind „ anno 1597 an der Pestilenz zu Felsbergk“ gestorben.
Erneuter Ausbruch
Die Jahre 1635 bis 1637, die auch von den Wirren des Dreißigjährigen Krieges stark gekennzeichnet waren, sind wiederum ausgesprochene Pestjahre. Unter 51 Pesttoten befinden sich 1535auch 27 Kinder. 1636 ist die Pest bei 12 Erwachsenen und 45 Kinder n die Todesursache. Im Jahr 1637 sterben 10 Erwachsene und ein Kind an der Pest. Mit Ende dieses Jahres scheint die Pest erloschen, doch grassieren andere ebenfalls tödlich verlaufende Krankheiten in Felsberg: Fieber, Rötheln und Blattern.
Grabstätten
Es darf vermutet werden, dass es in Felsberg keinen gesonderten Pestfriedhof, wie das von größeren Städten überliefert ist, gab. Jakobskapelle und Hospital, beide außerhalb der einstigen Stadtmauern gelegen, könnten die letzte Ruhestätte für die Kranken gewesen sein. Abseits des Stadtmittelpunktes war ihnen hier der seelische Beistand von Verwandtschaft und Kirche sicher. Mit dieser räumlichen Nähe war eine schnelle Bestattung der Seuchenopfer auf dem benachbarten Kirchhof ermöglicht, auch um die Ansteckungs- und Verbreitungsgefahr auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Eine kirchliche Zeremonie wurde nur, wenn überhaupt, im engsten Rahmen abgehalten. Besondere Hilfe und Trost erhofften sich die Lebenden von den „Gebeten wider die pestilenz“ wie sie von der landgräflichen Verwaltung ab 1573 angeordnet wurden. Den Pesttoten war eine bestimmte Ecke des Friedhofs reserviert. Hier fanden sie in Einzelgräbern oder in Großgräbern mit mehreren Verstorbenen ihre letzte Ruhestätte.
Auswirkungen
Die Bevölkerungszahl nahm in der gesamten Landgrafschaft Hessen um ein Drittel ab, auch in Felsberg. Handel und Handwerk lag am Boden, sowohl Angebot als auch Nachfrage konnten nicht mehr befriedigt werden. Die gesamte damalige Agrarwirtschaft war einer gesellschaftlichen Krise ausgesetzt, Hunger und Elend grassierten. Ganze Dörfer starben aus und wurden zu Wüstungen, auch im Edertal. Zahlreiche Bewohner aus benachbarten Dörfern zog es nach Felsberg, um im Schatten der Burg eine neue Existenz zu gründen. Nur sehr zögerlich konnten die Bürger den gesellschaftlichen Auflösungserscheinungen entgegen wirken. Ähnlich wie in anderen Städten dauerte es auch in Felsberg noch Jahrzehnte bis man sich von den Auswirkungen der Pestepidemie erholt hatte.