von Hans Poth
Das „Wandern ist des Müllers Lust“, dieses alte Volkslied mag einem einfallen, wenn man Männer allein oder zu zweit wieder zu Beginn des Frühjahrs und in der Sommerszeit entlang der Landstraße „tippeln“ sieht. Es sind Handwerksburschen, die sich „auf der Walz“ befinden. Als Erkennungsmerkmale tragen sie Cord-oder Samt-Hosen mit Schlagweite , Westen und Jacketts, alles in Schwarz gehalten.
Unverkennbar gehören zu ihnen auch der schwarze Schlapphut mit breiter Krempe manchmal durch einen Zylinder ersetzt, ein weißes Hemd sowie ein Wanderstock, der Stenz. All sein Hab und Gut wie Werkzeug, Unterwäsche, Schlafsack verstaut der Wandergeselle in einem Umhängebeutel, früher Felleisen genannt. In ihrer äußeren Erscheinung verkörpern sie noch heute das alte Handwerk und seine
Tradition, wenn sie auch insgesamt seltener geworden sind . Rund 1000 sind in Deutschland zu Fuß oder per Anhalter im Jahr unterwegs.
Handwerkliche Tradition
Bereits im 15.Jahrhundert war es Pflicht, dass der Handwerker nach seiner Lehrzeit auf die Walz zu gehen hatte. Mit dieser Auflage galt die Wanderzeit als Bestandteil eines vorgeschriebenen Ausbildungsweges. Das konnten 3-6 Jahre sein, wonach dann die Möglichkeit bestand, sich als Anwärter bei der betreffenden Innung um einen Meisterposten zu bewerben. Bis zur endgültigen Zuteilung musste jedoch eine weitere mehrjährige Arbeitszeit, die sogenannten Mutjahre, bewältigt werden. Am Schluß stand eine praktische Arbeit, das Meisterstück,
das auf seine Qualität von der Innungskommission überprüft wurde.
Zunächst ging es sicherlich darum, dass der fertige Geselle durch die Wanderschaft in mehreren Werkstätten herumkam und so sein Fachwissen
vertiefte, aber auch ganz allgemein Lebenserfahrung sich aneignete. Damit folgten sie auch dem Fortschritt der Zeit, erweiterten ihre technischen und geschäftlichen Kenntnisse und Fähigkeiten. Bei der Rückkehr konnten sie die angeeignete Handwerkskunst in der Heimat umsetzen.
Das Wandern war auch innerhalb der einzelnen Zünfte, in denen Berufe zusammen geschlossen waren, stets ein Steuerungsinstrument vor einer
drohenden Konkurrenz. Einheirat in eine einheimische Handwerksfamilie oder außerordentliche berufliche Tüchtigkeit erhöhten die Chancen auf einen Meisterplatz. Unterwegs waren Vertreter von nahezu allen Handwerksberufen wie Zimmermann, Maurer, Dachdecker aber auch Schlosser, Goldschmied oder Schneider.
Was bei der Wanderschaft zu beachten war und noch heute Gültigkeit hat
Auf die Wanderschaft durfte nur gehen, wer die Gesellenprüfung bestanden hatte, ledig, kinderlos, schuldenfrei sowie unter 30 Jahre alt war.Die Fortbewegung durfte nur zu Fuß erfolgen. Gemäß Wanderbuch sollten alle Zivil- und Militärbehörden den Inhaber frei und ungehindert reisen lassen, gleichfalls ihm auch „bedürftigen Schutz und Beistand gewähren“. Grundsätzlich wurden Ziele und Orte der Wanderschaft nicht festgelegt. Die Reise konnte durch ganz Deutschland gehen, ja sogar auch ins benachbarte Ausland. Einhalten mußte der Walzbruder
die Entfernung von mindestens 50 km zum Heimatort, die auch während der gesamten Walzzeit nicht unterschritten werden durfte.
Seine Bleibe hatte der Wanderbursche zunächst in der Herberge, die ihm nicht nur ein Dach über dem Kopf anbot, sondern ihm in der fremden Stadt auch als Arbeitsvermittlung beim Suchen eines Arbeitsplatzes behilflich war.
Kost und Unterkunft erfolgte im Haushalt des Meisters. Auch von Nordhessen aus gingen Wandergesellen in die Fremde oder kamen einige aus der Ferne hierher. Die Entbehrungen, die bei der Wanderschaft entstanden waren, dürften groß gewesen sein: keine soziale Absicherung, keine medizinische Versorgung bei manchmal armseliger Nahrung und natürlich mangelhafter Sauberkeit. Dennoch entstand ein Mythos, der die Wanderung in einem verklärenden Licht erscheinen ließ. Sitten und Gebräuche sowie eine eigene Sprache führen fast zu einer Subkultur der Landstraße.
Friedrich Weitzel, ein Schreiner-Wandergeselle aus Böddiger
Recht abwechslungsreich gestaltete sich nach vorliegenden Unterlagen die Wanderzeit von Friedrich Weitzel aus dem heutigen Felsberger Stadtteil Böddiger. Im Archiv der Stadt Felsberg wird die Familie Weitzel bereits seit dem 16. Jahrhundert geführt. Das Einwohnerverzeichnis von Böddiger enthält zahlreiche Dorfbewohner mit dem Namen Weitzel, die über Generationen hinweg stets Handwerksberufe erlernt hatten. Die Vielzahl von Schreinern belegt jedoch, dass dieser Beruf eine langjährige Tradition in der Familie hatte.
Wie aus dem Wanderbuch zu entnehmen ist, dürfte Friedrich Weitzel zu Beginn seiner Wanderzeit 20 Jahre alt gewesen sein und war insgesamt
3 1/2 Jahre unterwegs. Das kleine Buch mit Taschenkalender-Format wirkt ramponiert und war sicher häufig Wind und Wetter ausgesetzt, so daß heute nur noch eine lockere Fadenheftung das ganze zusammen hält. Es entstammt aus dem ehemaligen Bestand des nordhessischen Historikers Karl Muster, Felsberg.
Wie alle kurhessische Wanderbücher trägt es auf der Deckelinnenseite an rotweißer Schnur das aufgeklebte Papiersiegel des zuständigen „Vorsteheramtes der Handwerkschulen in Kurhessen“, Melsungen. Das Titelblatt zeigt eine Ansicht des alten Cassel, das von Handwerksgeräten und Girlanden eingerahmt ist.
Zahlreiche Stempel von Polizeiämtern oder Rathäusern geben Auskunft, wo der Wandergeselle gearbeitet hatte. Ausgestellt im April 1840 befanden sich zwischen 1841bis Ende 1843 seine Arbeitsplätze in Hochheim/Taunus, Mannheim, Heidelberg, Speyer und Karlsruhe. Reisezeiten und Aufenthaltsdauer sind sorgfältig verzeichnet. Gut gefallen haben, muß es ihm in Wiesbaden, weil er
sich gleich öfter dort aufhielt.
Mehrfach wird dem Inhaber des Wanderbuch bescheinigt, dass dieser eine bestimmte Zeit in Arbeit gestanden hatte und in „solcher Zeit über
treu, fleißig, stille, friedsam und ehrlich“ gewesen sei.
Im hinteren Teil des Buches lassen sich mehrere Eintragungen als Abrechnungen zum Stundenlohn oder zur Verrechnung von Kost und Logis
erkennen. Aus dem Wanderbuch war, in der der Heimat eingetroffen, ein Arbeitsbuch geworden mit den letzten Eintragungen von 1864.

Handwerker auf der Walz um 1900, repro Hans Poth

Wanderbuch von Friedrich Weitzel aus Böddiger
repro HansPoth