Wüstungen im Stadtgebiet von Felsberg - Als die Dörfer verschwanden
von Hans Poth
Bevölkerungsrückgang, Veränderung der dörflichen Wirtschafts- und Sozialstruktur, Aufgabe von Wohnhäusern, das sind Kriterien, die man in der modernen Politik mit dem Begriff demografischer Wandel umschreibt. Historiker wissen, dieses Phänomen gibt es nicht erst seit unserer Zeit, sondern ist bereits aus dem Mittelalter bekannt. Wenn Siedlungen verlassen oder landwirtschaftlich genutzte Anbauflächen wie Feld und Wald aufgegeben wurden, sprechen Fachwissenschaftler aus Archäologie, Geografie und Geschichte von
Wüstungen. Dabei unterscheidet man zwischen totaler Wüstung, falls es gar keine Überreste einer ehemaligen Siedung gibt, oder von partieller Wüstung, wenn noch einzelne Häuser als Restbestand geblieben sind.
Gründe
Wie einst in der gesamten Landgrafschaft Hessen und in vielen anderen Ländern gab es auch im heutigen Stadtgebiet von Felsberg Dörfer, die von ihren ehemaligen Bewohnern verlassen wurden. Dieser siedlungsgeografische Prozess spielte sich verstärkt zwischen 1300–1600 ab. Das damit einhergehende Verschwinden der Siedlungen mutet zunächst recht geheimnisvoll an, lässt sich jedoch belegen und erklären Die wichtigste Ursache für das Entstehen der Wüstungsperiode bildete der Rückgang der Bevölkerungszahlen, der durch Hungersnöte, Fehden und vor allem durch die 1347–1351 erstmals auftretende Pestepidemie begründet ist. Als eine Überproduktion von Getreide das Sinken der
Getreidepreise bewirkte und so bald zu einem verminderten Interesse an Bodenbewirtschaftung führte, erwuchs daraus die Agrarkrise des späten Mittelalters. An ungünstigen Standorten gab es Fehlsiedlungen, bei denen kultivierte Flächen angesichts schlechter Bedingungsfaktoren wieder der Natur überlassen wurden. Unmittelbar direkt wirkten sich lokalpolitische Entscheidungen der hessischen Landgrafen bei territorialen Fragen der Grundherrschaft aus.
Ob die dabei betriebene Umsiedlung freiwillig ausgeführt wurde oder auf Anordnung, ist bei ungünstiger Quellenlage nicht klar zu ermitteln. Felsberg, Melsungen und Gudensberg erhöhten den Schutz für ihre Bewohner durch den Bau von Stadtmauern. Bei besserer Rechtsstellung der Bürger und günstigeren Lebensbedingungen übten diese Städte eine erhebliche Anziehungskraft auf die Landbevölkerung aus.
Erkennung
Hinweise zur Existenz ehemaliger Dorfstellen bekommt man bei Flurbegehungen, wo mitten in der Gemarkung eine hohe Dichte von Steinen und Scherben erkennbar ist. Zu weiteren Nachforschungen können schriftliche Quellen herangezogen werden. Teilweise belegen auch Flurnamen noch den früheren Bestand von Dörfern.
Auf dieser Basis sind für das heutige Stadtgebiet von Felsberg 9 Wüstungen anzunehmen, die bis auf eine Ausnahme alle östlich der Eder lagen und vor Hochwasser geschützt waren. Die Dörfer dürften aus 10–20 Häusern bestanden haben und bewegten sich damit in der Größenordnung der heutigen Stadtteile Altenburg oder Helmshausen. Vom hohen Mittelalter bis in die frühe Neuzeit prägte das Kloster Fritzlar die gesamte Entwicklung der Dörfer. Eine auffällig dichtere Besiedlung war rund um das Kloster Eppenberg, heute Kartause genannt, gegeben. Das Kloster als lokales kirchliches, kulturelles und administratives Zentrum strahlte auf seine engere Umgebung aus. Mit dem Niedergang von Eppenberg wurde jedoch der einsetzende Entsiedlungsprozess beschleunigt.
Rund um das Kloster Eppenberg
Nördlich von Gensungen und südlich von Altenbrunslar lag östlich der Eder Wimmenhausen. Im Güterverzeichnis von Fritzlar aus 1209 finden dortige Liegenschaften in Verbindung mit steuerlichen Einnahmen erstmals Erwähnung. Das Dorf war dem Gericht Gensungen zugeordnet, aus der Gemarkung verschenkten die Landgrafen von Hessen-Kassel zahlreiche Äcker an das Kloster Eppenberg. Unter der Regierung von Wilhelm IV. (1567–92) wurde die Siedlung in Ober-, Mittel- und Unterhof verwaltungsmäßig aufgeteilt. Nach einer Rechnungsaufstellung wurde
aus den Höfen ein Reinertrag von 1046 Gulden erwirtschaftet, womit sie eine wichtige Einnahmequelle für Eppenberg darstellten. Bereits 1508 war nur noch ein einziger Hof vorhanden, der dann im Gegensatz zum Mittelhof 1597 als Unterhof bezeichnet wird.
Landgraf Moritz der Gelehrte lässt den Unterhof endgültig abreißen und schließlich das heute noch vorhandene Jagdschloss Mittelhof mit Stallungen errichten. Etwas nördlich vom Mittelhof dürfte sich die kleine Ansiedlung Baldenhausen den Hang hoch in Richtung Wald erstreckt haben; dies ist aus einer Urkunde Kloster Eppenbergs von 1468 zu entnehmen. Die ehemalige Siedlung Geroldsdorf ist vermutlich identisch mit dem heute noch in Altenbrunslar als Flurbezeichnug gebräuchlichen Gerlachsdorf. Es dürfte sich gegenüber der Einmündung von der Ems in die Eder befunden haben. Im Kalendar von Fritzlar wird es unter dem Zinsregister aus 1360 geführt. Die letzte Erwähnung erfolgt 1579 im Salbuch der Kartause, wo Pachteinnahmen zu einem dortigen Acker verzeichnet sind.
Kloster Breitenau
Die einstige Dorfstelle Brechelsdorf befand sich nordöstlich von Altenbrunslar auf leicht abschüssigem Gelände. Erste Erwähnungen sind aus dem Zinsverzeichnis des Pfarrarchivs von Fritzlar der Jahre 1209 und 1310 zu entnehmen. Schriftlich verbürgt: Abgaben zum Zehnten, insbesondere Getreidesorten, die an Kämmerei und Kellerei des Stiftes Fritzlar zu entrichten sind. Im Breitenauer Salbuch wird
1579 Brechelsdorf als eine wüste Hute mit Hofstatt benannt, die von Altenbrunslar aus zu bearbeiten war. Heute ist der gesamte vormalige
Siedlungsplatz mit Wald überwuchert.
Weil es heute noch den Flurnamen Schrodshausen gibt, weiß man um die genaue Lage dieser Wüstung, nämlich in der nördlichen Gemarkung von Wolfershausen. Eine erste Erwähnung erfolgte 1304, als Landgraf Heinrich und seine Gemahlin Mechthild ein Hofgut an das Kloster Breitenau anlässlich ihres Jahrestages schenkten. Von 1511 datiert ist eine Urkunde, wonach Abt Johann und Prior Theobald den Fruchtzehnten des Dorfes für 100 Gulden verkauft haben. Ein Hof von „3 Huben“ wurde noch 1579 von Breitenau aus verwaltet. Nach dessen
Niedergang wurden die Felder von Haldorf aus bestellt. Beim Blick über die Feldoberfläche westlich von Neuenbrunslar und südöstlich von Deute weisen Tongeschirr und umgepflügte Mauerverläufe auf die Dorfstelle Rabenhausen hin.
Nach einer Schenkung durch die Ritter von Elben an das Kloster Breitenau soll es bereits laut einer Urkunde 1336 wüst gewesen sein. Der spätere Besitzer des Feldes Johann Goswin übereignet 1445 einen Teil seines Erlöses dem Kloster Eppenberg zur „Förderung des Gottesdienstes“.
Lage unbekannt
Schöneberg soll westlich des Sundhofes gelegen haben, vielleicht auch am Fuß des gleichnamigen Berges südöstlich von Gensungen. Bereits 1212 erhielt das Kloster Hardehausen das Dorf von Ministerial Hermann Meisenbug und dem Landgraf von Thüringen als Geschenk. Die Kapelle von Schönberg besaß 1410 das Rittergeschlecht von Dalwigk. Zu der Wüstung Gerwartshausen gibt es Nennungen aus dem Urkundenarchiv Kloster Eppenberg von den Jahren 1181 und 1265. Die Lagebeschreibung ist lediglich mit „Gerwartishusen vor dem Kessel“ angegeben,
sodass die topografische Lokalisierung nicht möglich erscheint.
Moderne Untersuchungsmethoden
Längst sind nicht alle Fakten und Zusammenhänge zur Wüstungsbildung im Stadtgebiet Felsberg geklärt. Moderne Untersuchungsmethoden wie Luftbilder, Bodenanalysen, geophysikalische Messungen sowie geomagnetische und geoelektrische Prospektionen sind heranzuziehen, um neue Erkenntnisse zur lokalen Geschichte zu gewinnen.
Wandervorschlag
Für Wanderer bietet sich eine Wüstungsroute nach der Topografischen Karte 4822 Blatt Gudensberg an. Beim Maßstab 1:25 000 sind die früheren Dorfstellen gut zu lokalisieren. Auch die Wander- und Freizeitkarte der Stadt Felsberg ist optimal geeignet, die ehemaligen Dorfstellen aufzuspüren.

Heute vom Wald überwuchert, im Mittelalter Siedlungsstelle Brechelsdorf.

