Landgraf Moritz der Gelehrte und der Landtag von Felsberg 1626
Hans Poth
Zeitgenossen und auch später die Geschichtsschreibung seines Landes gaben ihm den Beinamen „der Gelehrte“. Als einer der bedeutenderen hessischen Monarchen hinterließ Moritz, der von 1572-1632 größtenteils in Kassel residierte und zuletzt seinen Wohnsitz im Melsunger Schloss hatte, zahlreiche Spuren. Weit über sein eigenes Territorium Hessen-Kassel hinaus erwarb er sich als Kenner und Förderer von Kunst, Kultur, Naturwissenschaften und Technik höchste Anerkennung. Innen- und außenpolitisch erreichte der Landgraf während seiner Regierungszeit 1592-1627 dagegen nur wenige seiner Ziele.
Problematische politische Ausgangssituation
In einer Epoche religiöser Kontroversen stand der Calvinist bei überzogenem Großmachtstreben in enger Verbindung zu protestantischen Herrschern. Eine falsch ausgerichtete Bündnispolitik brachte ihm jedoch die Gegnerschaft zu Kaiser Ferdinand II. ein und führte sein Land zusehends in die Isolation. Seine überzogenen ehrgeizigen diplomatischen und militärischen Pläne, Hessen-Kassel zu einem mächtigen Staat auszubauen, waren somit zum Scheitern verurteilt. Zusätzlich behinderte ihn der dynastische Konflikt mit Hessen-Darmstadt, der permanent Streitpunkt vor und während der Wirren des 30-jährigen Krieges(1618-1648) bildete. Anlass war die Regelung um die Marburger Erbfolge. Darüber hinaus führten Kriegsschäden, die von durchziehenden Heeren verursacht wurden, zur Zerstörung der Infrastruktur seines Landes und belasteten seinen Staatshaushalt.
Konflikt mit den Landständen
Durchgehend hatte Moritz während seiner Regierungszeit den von ihm nicht zu lösenden Verfassungskonflikt mit den hessischen Landständen auszutragen. Im dualistisch aufgebauten Territorium repräsentierten Landesfürst und Stände das Land. Doch verschob sich das Kräfteverhältnis. Mit der Kritik an der Steuererhebung und einer zu teuren Hofhaltung wuchsen die innenpolitischen Spannungen, die in der Aufkündigung der Loyalität gegenüber dem Landesherren endeten. Mehrfach führte Moritz Verhandlungen mit seinen Landständen - wenn auch ohne Erfolg-, um die Zentralgewalt und damit seine eigene Position, zu stärken. Durch unrealistische Forderungen, sprunghafte Entscheidungen und rechthaberisches Auftreten brachte er insbesondere die Ritterschaft innerhalb der Landstände gegen sich auf.
Verlauf des Felsberger Landtags
Einrichtung und Wirkungskreis von Landtagen sowie Rechte und Pflichten der Landstände waren anfangs des 17. Jahrhunderts in Hessen noch nicht urkundlich festgelegt. Vielmehr waren sie von Herkommen und Präzedenzfällen, reichsrechtlicher und politischer Vorgaben bestimmt. Recht zu bekommen, war auch eine Angelegenheit des Durchsetzungsvermögens. Vor diesem Hintergrund sind Verlauf und Ergebnis des Landtags von Felsberg zu bewerten.
Viel zu spät begriff der Landgraf, dass er auf die Stände angewiesen war, sollte das Land regierbar bleiben. Schließlich berief er am 27. Oktober einen Landtag für den Zeitraum vom 5.-10. November 1626 nach Felsberg ein. Warum gerade Felsberg? Sicher war es damit begründet, dass er sich in den Mauern der Stadt wohl fühlte und diese in unmittelbarer Nähe seines damaligen Wohnsitzes Schloss Melsungen gelegen war. Auch war die einstige Bedeutung der Stadt dem Ereignis angemessen. Zu dem Treffen waren sechs Ritter sowie die Vertreter von neun Städten erschienen. Wenn viel weniger Vertreter kamen als ursprünglich geladen, zeigt dies wie gering man die Aussichten auf Verhandlungserfolge bei der Ritterschaft einschätzte.
In Entschuldigungsschreiben wurde jedoch das Fehlen mit der damaligen Unsicherheit auf den Straßen begründet. Untergebracht waren die Tagungsteilnehmer im heutigen Gut Scheffer, das damals sich im landgräflichen Besitz befand. Weitere Gäste wohnten in dem Renthof oder dessen Nachbarhäuser. Als Landkommunikationstag war das Treffen bestimmt von aktuellen Problemen. Die hessische Ritterschaft beklagte die bevorstehende Einquartierung der Truppen Tillys, die Zahlung von Kontributionen und befürchtete den Niedergang des Landes. Zahlreiche Gravamina, so genannte Beschwerdebriefe der Ritterschaft gegenüber dem Landesherrn, standen auf der Tagesordnung. Bitter beklagt wurde auch das rigide Vorgehen landgräflicher Berater gegenüber den Landständen. Gleichfalls angesprochen wurden: die drohende Belagerung der Festung von Ziegenhain sowie Verhandlungen mit Landgraf Georg II von Hessen-Darmstadt zu Gebietsansprüchen im Bereich Oberhessen.
Ergebnis: Rücktritt zeichnet sich ab
Langwierige und zähflüssig verlaufende Verhandlungen kennzeichneten den Landtag. Die wenigen konkreten Beschlüsse führten keineswegs zu einer nennenswerten Verbesserung für das Land und seine Bewohner. Georg II. mit seinen Soldaten sowie die liguistischen Truppen Tillys stellten mittlerweile eine ständig wachsende Gefahr für das Land dar. Eine Gegenwehr erschien aussichtslos, und noch auf der Tagung versagten die Landstände Moritz die militärische und politische Unterstützung. Schließlich wurde das Treffen sogar wegen bevorstehender militärischer Angriffe durch anrückende bayrische Truppen abgebrochen. Der Landgraf war auf dem Landtag von Felsberg gescheitert. Es zeichnete sich am Ende bereits ab, was jahrelang erkennbar, 1627 schließlich Realität wurde: Moritz, ein Landesherr ohne Macht. Politisches Versagen führte ihn überall ins Abseits bei Kaiser, Nachbarfürsten, Familie und Untertanen. Unter dem Zwang der Landstände musste er zurücktreten und sein Sohn Wilhelm V. wurde neuer Landgraf in Hessen–Kassel.