Frühe Schafhaltung

Schafe - Nutztiere im Edertal

von Hans Poth


Jetzt laufen sie wieder über die Weide: Schafe, possierlich anzusehen, gerade die Jungtiere. Was heute in Felsberg und anderen Gemeinden der Region eher als Hobby gepflegt wird, diente einst als Grundlage zur Sicherung der Existenz für große Teile der Bevölkerung. Gleich mehrfach waren Schafe für den Menschen verwendbar: Fleisch, Milch, Käse, Wolle und Haut als Beschreibstoff sowie der anfallende Mist als Dünger. Vom hohen Mittelalter bis in die Neuzeit nahm die Schafhaltung und die damit verbundene einträgliche Textilproduktion eine zentrale Stellung in der Handels- und Gewerbepolitik des landgräflichen Hauses Hessen-Kassel ein.  Schafwolle war ein wichtiges textiles Rohmaterial, das zur Stoffherstellung benötigt wurde. Gewonnen wurde die Wolle zunächst durch Ausraufen und dann durch Auskämmen zur Zeit des natürlichen Haarwechsels; erst später wurde einmal im Jahr das ganze Vlies der Tiere geschoren. Dass Hessen-Kassel einst als Wolleland bekannt war, dazu trug auch das Amt Felsberg, das größenmäßig dem heutigen Stadtgebiet entsprach, seinen Anteil bei.


Bäuerliche und landgräfliche Schafhaltung

Details auf eine intensive Schafhaltung  im Amt Felsberg lassen sich schon 1462   in einer Rechnung nachweisen: 4 Schafhalter hatten zwischen 10 und 22 Schafe, 7 Schafhalter besaßen 4o bis 70 Schafe sowie 6 Halter besaßen 80 bis 120 Schafe. Nach dieser Aufstellung gab es neben den größeren Herden der landgräflichen Schäferei insgesamt1080 Schafe im Amt Felsberg. Als Weideland diente weniger fruchtbares Land, das dem Adel oder der Kirche gehörte. Im Edertal kamen dabei Auengebiete und Hanggelände infrage. Bis zu seiner Aufforstung ab 1866 diente sogar das Areal auf dem Heiligenberg als Schafshute. Gegen die Entrichtung von Triftgeld besaßen die Bauern hierfür Nutzungsrechte. Gemarkungsbezeichnungen oder Feldwegenamen wie “An der Trift“ erinnern heute noch an Einrichtungen vergangener Zeiten.

Im Saalbuch der Stadt Felsberg von 1555 wird dargestellt, dass der Landgraf  Gebote und Verbote zur Schafhaltung erlassen konnte sowie die „Hute- und Schaftrift“ besaß. Bereits hier wird der herrschaftliche Schafshof angeführt, der vor der Stadtmauer liegend, für die Tiere einen kurzen Weg zum Weidegelände ermöglichte. Sorgfältig festgehalten ist dies durch eine Architekturzeichnung von Landgraf Moritz aus 1627. Die Anlage fiel 1640 dem großen Stadtbrand von Felsberg  zum Opfer. Das nachfolgend erbaute Herrenhaus ist heute das Anwesen Maifarth. Bäuerliche und bürgerliche Schafhalter hatten auch eine Steuer zu zahlen, die monitär oder in Form von Tier- und Wollabgaben an den Landesherrn erfolgte. Der Bestand der landesherrlichen Schäfereien soll 1565 sich auf 530 Schafe belaufen haben. Im Jahr 1578 werden im Amt Felsberg 400 Schafe von der landgräflichen Verwaltung gehalten, Schwankungen ergaben sich bei Kriegen oder Tierseuchen. In der Beschreibung zur „Dorfschaft von Gensungen“ von 1746 werden 7 Schafspferche erwähnt, die jeweils bis zu 120 Tiere umfassen. Die Menge der Wolle wurde in Kleudt gehandelt,  diese Gewichtseinheit entsprach 21 Kasseler Pfund und konnte durch die Schur von 15 Schafen erreicht werden. Das Verkaufsgut war auf städtischen Märkten zunächst einheimischen Tuchmachern und Wollwebern  anzubieten und erst nach deren Bedarfsdeckung durften auswärtige legitimierte Wollaufkäufer tätig werden. Durch Zuchtverbesserungen wurden Erträge gesteigert.


Streitfälle
Wie  sehr oft, kam es auch in Felsberg wegen Überweidung von Allmenden - das war für alle nutzbares  Land und Wasser - zwischen Grundherren und der Bevölkerung zu Auseinandersetzungen. Im Jahr 1596 beschwerten sich die Bauern über die mehrfachen Verstöße, die von den Schäfern der herrschaftlichen Schafhaltung begangen wurden, vor dem Schultheiß von Felsberg. Streitpunkt waren die Ederwiesen.1599 gab es Eingaben der „Ackerleute“ über die landgräflichen Beamte wegen Verbots der Nachthute „Auf  dem Bruch“(nahe 3-Burgen-Schule), diesmal vor Kasseler Räten.


Berufe

Im Lager-, Stück- und Steuerbuch von 1750 finden bei der beruflichen Aufstellung der Kleinstadt 4 Schäfer Erwähnung, die sowohl für die Landgrafschaft als auch für Kleinbauern ihre Arbeit verrichteten. Außerdem befanden sich zwei Hirten in städtischen Diensten, deren wichtige Position durch die Bereitstellung einer Wohnung unterstrichen wurde. Sie soll sich in der Nähe des Brauhauses befunden haben; das Nötige  lag beisammen: Wasser, Unterkunft und Weide. Auch ein Wollewieger ist erwähnt, der das Rohmaterial Schurwolle registrierte und Steuern im Auftrag des Landgrafen erhob. Dazu gab es, so in  der Wollordnung verfügt, eine strenge Reglementierung zugunsten der einheimischen Betriebe. Zunächst war der Materialbedarf für Wollwebereien in Städten wie Melsungen, Spangenberg, Homberg oder Kassel zu decken. Erst danach wurde die Ware nach Holland und Nordfrankreich exportiert.

Schäfer waren innerhalb der dörflichen oder kleinstädtischen Hierarchie eher unten anzusiedeln, gehörten sie doch zu den „unehrlichen Berufen“. Neben der Hütepflicht hatten sie auch die Gesundheitsfürsorge für die Tiere zu übernehmen und wurden in Naturalien sowie Geld entlohnt. Hin und wieder konnte man ihnen falsche Angaben bei der Tierzählung oder Gewichtsmanipulationen nachweisen, vielleicht sogar den Verkauf minderwertiger Ware vorwerfen. Dass sie sich in Sachen Wetter und bei der Heilung von Krankheiten  gut auskannten, machte sie zusätzlich zu geheimnisumwitterten Sonderlingen. Ehrfurcht, Furcht und Abneigung regten in der Bevölkerung die Fantasie an.


Weitere Entwicklung

Ab 1850 bekam  die Schafswolle durch die Baumwolle starke Konkurrenz auf dem Textilmarkt und schließlich trat die Chemiefaser vor wenigen Jahrzehnten ihren Siegeszug an. Folglich ließ auch bei uns in der Region die Schafhaltung nach. Im Stadtteil Gensungen gab es bis in die neunziger Jahre eine große Schäferei mit mehreren Herden und ein Betrieb in Niedervorschütz betreibt die Schafhaltung noch heute gewerbsmäßig. Die Liebe zum Tier, höchste Essgenüsse, die Verarbeitung von Rohstoffen sowie Tierhaltung zur Landschaftspflege sind nach wie vor Motivation genug, um sich vereinzelt mit den friedvollen Paarhufern zu  befassen. So gibt es  im Stadtgebiet von Felsbergderzeit bei 25 Haltern 275 Tiere  und im gesamten Schwalm-Eder-Kreis sind 475 Besitzer für 11 503 Schafe verantwortlich.